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Interview

Jan-Christoph Maiwald noventic group CEO digitalisierung klimaschutz

dena Studie ‚Integrierte Energiewende‘: Digitalisierung entscheidender Hebel für mehr Klimaschutz in Gebäuden

Hamburg/Berlin, 4. Juni 2018

Wie schaffen wir es, bis 2050 ein Energiesystem in Deutschland zu etablieren, das kaum noch CO2 ausstößt? Dieser Frage ist die Deutsche Energieagentur (dena) im Rahmen der Studie ‚Integrierte Energiewende‘ nachgegangen. Mehr als 50 Verbände und Unternehmen – darunter die noventic group – haben daran mitgewirkt. Das Fazit: Deutschland kann mittels Digitalisierung seine Klimaziele bis 2050 erreichen.

Jan-Christoph Maiwaldt, CEO der noventic group, fordert einen technologieoffenen Wettbewerb der Ideen sowie einen entschlossenen Einsatz schon bekannter sowie neuer, zukünftiger Effizienztechnologien: die klimaintelligente Steuerung von Gebäuden. So kann der beschriebene Weg von der Digitalisierung zu mehr Klimaschutz des Gebäudebestands für Gebäudeeigentümer und Mieter tragbar bleiben.

Interview zur Verknüpfung der Digitalisierung in Gebäuden für mehr Klimaschutz

Herr Maiwaldt, was sind für Sie die entscheidenden Erkenntnisse der jetzt veröffentlichten Studie der dena?

Die positive Botschaft der dena Studie ist: Wir können die Klimaziele in Deutschland erreichen. Aber wir haben keine Zeit mehr zu verlieren. Wir müssen jetzt entschlossen vorangehen, sonst wird der Umbau zur klimaneutralen Volkswirtschaft am Ende sehr kostspielig. Dabei sollten die Möglichkeiten der Digitalisierung genutzt werden, um entscheidende Hebel anzusetzen und den Klimaschutz voranzutreiben: Denn die technischen Potenziale für Energieeffizienz durch technischen Fortschritt und Digitalisierung liegen laut dena Studie bereits heute bei deutlich mehr als 50 Prozent des Energieverbrauchs. Diese klare Bewertung bestätigt uns als Unternehmensgruppe in unserem Selbstverständnis als Wegbereiter der klimaintelligenten Steuerung von Gebäuden.

Der Energieverbrauch in Gebäuden ist für die Klimabilanz von zentraler Bedeutung. Wie kann die Transformation und die Digitalisierung in diesem Sektor gelingen und für mehr Klimaschutz sorgen?

Wir haben in Deutschland einen historisch gewachsenen und damit sehr heterogenen Gebäudebestand, bei Wohnhäusern ebenso wie bei Gewerbeimmobilien oder öffentlichen Bauten. Um den Gebäudesektor insgesamt klimaneutral werden zu lassen, muss noch viel getan werden. Und es braucht den Mut zu vielfältigen, verschiedenen Lösungen, um in Immobilien unterschiedlicher Bauart zu jeweils optimalen Ergebnissen zu kommen. Die dena Studie bestärkt uns in unserer Überzeugung, dass möglichst viel Freiheit bei der technischen Ausgestaltung die Transformation beschleunigt und unnötige Kosten vermeidet. Jetzt ist die Politik gefordert, die gesetzlichen Vorgaben, die Anreize und das Thema Digitalisierung für einen wirksamen Klimaschutz weiterzuentwickeln. Nur mit einer technologieoffenen Regulierung, die zugleich Sicherheit für private Investitionen schafft, kann die Energiewende im Gebäudebereich gelingen.

Welchen Beitrag kann die klimaintelligente Steuerung von Immobilien mittels Digitalisierung zum Erreichen der Klimaschutzziele bis 2050 leisten?

Damit können wir einen besonders wirksamen Hebel ansetzen. Wir nutzen nämlich „Eh-da-Infrastrukturen“, wie zum Beispiel Heizkostenverteiler, ergänzt um moderne Smart Meter, die in Kombination mit Smart Meter Gateways zu intelligenten Verbrauchszählern werden, um Daten zu sammeln und zu analysieren und in Anwendungen nutzbar zu machen. So können wir beispielsweise bestehende, ebenso wie neue Energieanlagen optimal aussteuern und maximale Energieeffizienz erreichen. Unser Ansatz ist dabei technologieoffen: Wir arbeiten mit interoperablen Systemen, die – bidirektional über einen Smart Meter Gateway – den Datenaustausch zu Plattformen und Anwendungen ermöglichen. Anwendungen, die Energie sparen, indem sie mit aktuellen Gebäudedaten die Gebäudetechnik hocheffizient steuern bzw. Nutzern – durch ein Mehr an Transparenz über ihr Verbrauchsverhalten – erst ein energiesparendes Verhalten ermöglichen.

Diese Potenziale auszuschöpfen ist in Bestandsgebäuden oftmals wirtschaftlicher und energieeffizienter als die alleinige Dämmung von Fassaden, die derzeit im öffentlichen Fokus steht, wenn es um Maßnahmen zur energetischen Sanierung geht. Die klimaintelligente Steuerung erfordert meist deutlich niedrigere Investitionen. Dafür fallen zwar höhere laufende Betriebskosten an, die aber durch die Effizienzgewinne für den Wohnraumnutzer, also den Mieter, leicht ausgeglichen werden können.

Könnten Sie das an einem Beispiel verdeutlichen?

Wenn etwa ein Gasbrennwertkessel mit einer hochmodernen Wärmepumpe kombiniert wird, verbessert sich die Klimabilanz dieses Gebäudes theoretisch enorm. Wir beobachten aber im tatsächlichen Alltagsbetrieb, dass diese Effizienzsteigerung meist nur auf dem Papier gilt, weil die Geräte nicht optimal ausgesteuert und synchronisiert sind. Dies kann die klimaintelligente Steuerung von Gebäuden mithilfe von Algorithmen leisten. Diese Digitalisierung dient dem Erreichen der Klimaschutzziele und entlastet zugleich die Wohnungsnutzer, weil deren Verbrauch sinkt und sie tatsächlich weniger für Gas oder Strom zahlen müssen. Wenn wir die Möglichkeiten zur smarten Steuerung der Energieversorgung konsequent nutzen, können wir in Deutschland allein bei konventionellen Gasbrennwertkesseln oder Gas-Blockheizkraftwerken bis zu 15 Prozent der eingesetzten Primärenergie einsparen.

Sind weitere technische Innovationen und Maßnahmen der Digitalisierung in Sicht, mit denen sich der Beitrag der klimaintelligenten Steuerung zum Klimaschutz noch weiter ausbauen lässt?

Die im Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende vorgeschriebene Installation von Smart Meter – ‚moderner Stromzähler‘ – wird einen entscheidenden Beitrag zur Energiewende und zum Klimaschutz leisten. Der Rollout der Smart Meter – und in dem Zuge der Smart Meter Gateways, die die Zähler mit dem Netz verbinden und so erst zu intelligenten Zählern machen –, steht kurz bevor. Nach der intensiven Prüfung und der Zertifizierung der neuen Technik durch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik gibt es künftig sichere und hochverfügbare Übertragungswege, um Verbrauchsdaten aus Gebäuden zu erfassen und auszuwerten. Das eröffnet neue Möglichkeiten. Zum Beispiel können wir ‚Erneuerbaren Strom‘ optimal in die Gebäudeversorgung integrieren; Mieter können ihren Verbrauch mithilfe der Smart Meter genauer steuern, um von dynamischen Tarifen zu profitieren und den Strom zu Tageszeiten beziehen, an denen er am günstigsten ist.

Die Digitalisierung wird insgesamt für mehr Transparenz sorgen und so helfen, das Bewusstsein der Verbraucher für den Klimaschutz weiter zu schärfen. Die in der noventic group entwickelte App „Cards“ ist ein gutes Beispiel für diese Entwicklung: Sie visualisiert den Verbrauch von Strom, Wärme und Wasser im Haushalt und bietet über das Benchmarking mit selbst gewählten Vergleichsgruppen oder mit Tipps Anreize zum Energiesparen – funktioniert also ähnlich wie eine Fitness-App. Zugleich können die Daten genutzt werden, um die Bausubstanz zu schützen und Wohnungsnutzer vor der Gefahr von Schimmelbildung oder Wasserleckagen zu warnen.

Was muss die Politik jetzt anpacken, damit der Einsatz klimaintelligenter Steuerung als Teil einer „Integrierten Energiewende“ seine volle Wirkung entfalten kann?

Was für das Gelingen der Energiewende insgesamt richtig ist, gilt auch für den Ausbau der klimaintelligenten Steuerung im Gebäude: Nur, wenn ausreichend privates Kapital für Investitionen der Digitalisierung bereitsteht, können die Klimaziele erreicht werden. Außerdem ist Technologieoffenheit auch hier die Voraussetzung für einen Wettbewerb der Ideen und Konzepte, mit dem Ziel, die effizientesten Lösungen und Maßnahmen der Digitalisierung für besseren Klimaschutz zu finden. Entsprechend muss die Politik einen Ordnungsrahmen vorgeben, der ebenso Sicherheit für Investoren bietet, wie Freiheiten für Entwickler und Unternehmer.

Viele Mieter fürchten zunehmende Belastungen, weil die Kosten der energetischen Modernisierung umgelegt werden können und damit die Mieten weiter steigen.

Dass die steigenden Mieten mit zunehmender Sorge betrachtet werden, kann ich sehr gut nachvollziehen. Allerdings werden unverhältnismäßige Mieterhöhungen in der öffentlichen Wahrnehmung häufig fälschlicherweise mit energetischen Maßnahmen in Verbindung gebracht. Vor allem der fehlende Wohnraum in den Metropolregionen Deutschlands ist für die steigenden Wohnkosten verantwortlich – weniger die tatsächlichen Investitionen in den Klimaschutz.

Angesichts des trotz allem wachsenden Kostendrucks ist es umso entscheidender, dass mit jedem Euro, den wir für den Klimaschutz aufwenden, die maximale CO2-Ersparnis erreicht wird. Deshalb spricht einiges für eine intelligente Klimasteuerung, die auch auf Basis bestehender Infrastrukturen im Gebäude nur vergleichsweise geringe neue Investitionen erfordert. Wir ziehen also mit unseren Services neuen Nutzen aus bereits Bestehendem. Zugleich sorgt eine intelligente Steuerung aber auch dafür, dass die Effizienzziele mit einer neuen Gebäudehülle oder nach der kostspieligen Installation neuer Energietechnik erreicht werden.

Der Gesetzgeber ist hier aber auch gefordert. Denn er hat bei der Umlage von Betriebskosten für die klimaintelligente Steuerung bislang enge Grenzen gesetzt. Das ist falsch verstandener Mieterschutz und hilft den Betroffenen tatsächlich nicht: Die höheren Betriebskosten durch die Steuerung können durch die realisierten Effizienzgewinne mehr als wettgemacht werden – und die Betriebskosten der Mieter sinken unterm Strich! Auch um dieses Potenzial auszuschöpfen, ist die Politik dringend gefordert, die gesetzlichen Vorgaben hier weiterzuentwickeln.

Wie lässt sich die Privatsphäre von Wohnungsnutzern schützen, wenn immer mehr Daten zu ihrem Energieverbrauchsverhalten ausgewertet werden?

Grundsätzlich gilt: Im Umgang mit Verbrauchsdaten gilt die Datenschutzgrundverordnung, die die Privatsphäre der Wohnungsnutzer schützt. Es ist selbstverständlich, dass die klimaintelligente Steuerung von Gebäuden den rechtlichen Vorgaben folgt. Ein Großteil der zur Steuerung benötigten Informationen kommt aus aggregierten Daten, die sich nicht mehr auf einzelne Nutzer der Gebäude zurückführen lassen. Dienen Verbrauchsdaten dazu, etwa die Verteilung von Energie in verschiedene Wohnungen zu regeln, um den Wohnkomfort so zu optimieren, werden sie allein für diesen Zweck verwendet – und diese Verwendung muss vom Eigentümer der Daten, also dem Nutzer der Wohnung, autorisiert werden.

Welche Handlungsempfehlungen für die noventic group ergeben sich aus der dena Studie?

Nach dieser Bestätigung der Relevanz der klimaintelligenten Steuerung und somit Digitalisierung von Gebäuden für mehr Klimaschutz werden wir mit neuem Engagement weiter vorangehen. Dabei wird es jetzt vor allem darauf ankommen, gemeinsam mit der Wohnungswirtschaft Lösungen zu entwickeln, mit denen sich die vereinbarten Klimaziele erreichen lassen, ohne dass dabei die Wirtschaftlichkeit der Nutzung von Gebäuden und gleichermaßen die finanzielle Belastung der Mieter aus dem Blick geraten.